Früh habe ich Wäsche gewaschen, umgepackt, um nicht mehr Benötigtes heimzuschicken (Neopren, Goretex, Landkarten, ...) 7.30 Uhr habe ich gefrühstückt: Kaffee, Spiegelei, Brot, Wurst, Käse. Bin zufrieden mit dem kleinen Hotel. Nach dem Frühstück lief ich direkt zum Kreml - nur fünf Minuten von hier. Ich habe mich der Faszination eines zweistündigen orthodoxen Gottesdienstes hingegeben. Wunderbare Gesänge, schöne Stimmen, das zinnoberrot-goldene Innere der weißen Kirche, gemütlich unter niedrigen Gewölben (Wahrscheinlich ist darüber noch eine weitere Kirche, die zur Zeit aber nicht begehbar ist). Die Gesänge hab ich auf meinem mp3-Player aufgenommen. Die Feiern finden in dieser Woche täglich statt - und enden mit einem Rundgang um die Kirche, bei dem reichlich Weihwasser verspritzt wird. Wenn man sich diesen Eindrücken ganz hingibt und tief eintaucht in diese fremde Welt, kann man eigentlich nur überwältigt sein. Für mich war es ein bisschen wie Weihnachten bei uns: schöne Lieder mit einer gewissen Schwermut - und sooo russisch. Genau das, was ich mir vorgestellt hatte, hier zu erleben - oder: schöner, als das, was ich wirklich erwartet hatte.
Nach dem Gottesdienst hörte ich draußen die Militärparade, wegen der schon am frühen Morgen die Straße abgesperrt war. Auch das ist Russland - und auch das musste ich auf mp3 aufnehmen. Ich denke, ich habe wieder eine Menge toller Fotos machen können. Jetzt ist es zwölf Uhr und ich habe den Dunstkreis des Kreml nicht verlassen. Ich sitze im Kreml, höre mir noch einmal die Gesänge an, genieße den warmen Sommer, höre das Kreischen der Mauersegler noch unter den Kopfhörern. Es kann schöner nicht sein.
- Von gestern Abend hatte ich noch nicht berichtet: ich lief bis zum Kutum Kanal, wo ich ein Restaurant am Wasser fand - zum Draußen-sitzen. Beate rief an, ich konnte mal wieder kurz mit den Kindern sprechen, dann gab es Schaschlik, Pommes, Brot und Bier - und ein weiteres kaufte ich mir im Lebensmittelladen, um es wie ein Russe auf dem Leninplatz zu trinken, wo die jungen Leute wie überall bisher in Gruppen saßen oder Pärchen den Frühling/Frühsommer genießen. Alles ruhig - alles kulturvoll.
Ich bin nur durch die Stadt gebummelt - zu den Theatern, auf deren Spielplänen ich derzeit nichts für mich fand. Ich hatte mich kurz auf Parkbänken ausgeruht, habe in der Post einen Karton geholt und Neopren, Goretex und Karten gepackt (2,5kg) - für die Kinder zwei DVDs dazugekauft von Trickfilmen, die ich hier im TV gesehen hatte, und alles am Nachmittag zur Post gebracht. Danach war ich nach drei Waffeleis - (Eis!!! Eis!!! Eis!!!) im ökologischen Institut, dessen Adresse im Wolgadelta-Reiseführer genannt ist. Die Chefsekretärin der Behörde (Anna, die 1987-1988 in Dresden gelebt hatte und überraschend gut Deutsch sprach!) war sehr nett und half mir mit Unterkunft und Ansprechpartner im Wolgadelta weiter - nach etlichen Telefonaten. Russische Gastfreundschaft vom Feinsten! Was wäre, wenn ein Russe bei uns im Landratsamt auftaucht?! Ich bin zufrieden, das soweit vorbereitet zu haben. Morgen früh mein Programm: Frühstück, nochmal Kirche, Markt am Kutum Kanal. Dann eventuell Ballett am Abend. Am Sonntag geht es dann mit dem Rad und zwei Fähren ins Delta. Das heißt, dass ich das Vorstellungsgespräch über Skype noch klären muss. Heute habe ich keine Lust auf Internetcafé. Habe jetzt hier am Kutum Kanal zwei Bier auf nüchternen Magen reingeknallt. Die richtige Formulierung: reingeknallt.
Ich bin danach noch nördlich des Kanals spazieren gegangen, wo alte Holzhäuser ihren maroden Charme entfalten - oder ganz verfallen. Ich kam mit einem Anwohner ins Gespräch, der einen Kinderwagen vor sich herschob. Ich sagte ihm, dass ich alte Häuser liebe und er zeigte mir noch einige in ein paar Nebenstraßen. In einem der alten Häuser wohnte sein Freund Tim, ein Tattookünstler, der mich auf einen Kaffee einlud. Seine deutsche Bulldogge war friedlich - sein Zimmer sehr gemütlich, viele Bilder an den Wänden, einige Selbstportraits. Und ich war fast eine Stunde bei ihm - er bewirtete mich mit Beefsteaks und Brot mit Gurken und Kaffee und ich erfreute mich aufs Neue an der spontanen russischen Gastfreundschaft und Herzlichkeit. Er schenkte mir noch ein altes Buch über Astrachan, welches sehr interessant ist. Nach diesem netten Kennenlernen lief ich noch etwas herum, um ein paar Nachtaufnahmen zu machen und um das Musiktheater zu finden. Von außen ein grauenhafter Bau, der eher wie ein Parkhaus oder eine Sporthalle aussieht. Aber am 28. gibt es La Traviata.
21.15 Uhr liege ich jetzt im Bett, habe noch eine Luftschokolade gegessen und trinke noch ein Einschlafbier...