Tag 26 Weljoenski




Früh war ich noch 7 Uhr in der achten Etage in der Bar etwas kleines frühstücken. Schade, dass die Fenster viele Meter weit oben waren, sodass man nichts sehen konnte. 7.45 Uhr war ich dann schon unterwegs. Ich hatte die Hoffnung, vielleicht die geschätzten 170km bis Salsk an einem Tag zu schaffen. Weit gefehlt. Dabei fing es so gut an. Ich fragte mich nach dem Weg nach Stanica Bagaevskaya durch - dem Ort hinter der Fähre über den Don, wie ich später erfuhr. Anfangs drehte ich auf der Suche noch eine Ehrenrunde um die schöne Kirche, dann ging es ostwärts bergab - und ich sah die Kirche nach fünf einhalb Stunden immer noch in der Ferne. Das machte den Eindruck, nicht voranzukommen und war etwas zermürbend - zumal nach der Fähre ein starker Gegen- und Seitenwind einsetzte. An der Fähre musste ich ca. 90 min warten, dann dauerte die Überfahrt noch etwas und danach fuhr ich noch eine Weile nach Südwest - gegen den Wind und in weitem Bogen um Nowotscherkassk herum in Richtung Rostow. Auch das war nicht so schön - wegen des Eindruckes, in die falsche Richtung zu fahren - und das noch gegen den sehr starken Wind - mehr Kilometer, als die Karte abschätzen ließ. Und dazu kam, dass die nächste große Stadt sehr weit entfernt ist, wo ich mit einem Hotel rechnen konnte. Nach 110km habe ich dann etwas gefunden - ein nettes älteres Ehepaar auf der Fähre hatte mir schon Hoffnung gemacht, dass ich ein Hotel finden werde auf dem Weg - dass es da eines gäbe.
Was ich fand, ist ein schönes Haus am Fluss, abseits der Straße in schöner Schilflandschaft. Es hat ein Café und ich bin zur Zeit wohl der einzige Gast. Gegen 16 Uhr kam ich wohl an, duschte, ging zum Fluss. Da sitze ich jetzt im Wind, höre die Vögel im Schilf (Rohrdommeln (?) oder irgendwelche Sänger). Im Hintergrund Hundegebell aus dem Dorf. So gefällt mir das. Und es ist jetzt richtig Frühling. Das konnte ich bei der Fahrt und dem Wind heute nicht geniessen. Hier die ersten weißen, duftenden Blüten an wilden Bäumen am Ufer.
Heute unterwegs hatte ich eine Pause an einem Dorfkonsum gemacht - da saßen die alten russischen Mütterchen und plauschten mit der Verkäuferin - nicht so dicke, alte Vetteln wie in der Ukraine. Es gab ein paar Holzhäuser - und meist Bäume an der Straße, die den Seitenwind etwas abmilderten. Das wird es in der Steppe nicht mehr geben - auch als Schattenspender waren sie mir heute an dem sehr sonnigen Tag willkommen: ich hab mir mein rechtes Ohr verbrannt.






Heute auf der Fahrt habe ich zum 2. Mal bisher meinen Pollkragenpulli ausziehen müssen - und die Neoprenjacke war dann immer noch zu warm.
Schön hier: diese kleine Idylle - auch wenn im Westen eine große Betonfabrik - oder ein Speicher - steht.

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Ich habe lange nicht so intensiv gelebt, wie heute zwischen Nachmittag und etwas nach Mitternacht. Nachmittags nach meinem Dorfspaziergang sah ich die riesigen Schilfbrände hinter dem Dorf. Ich ging hin, traf fünf Männer, darunter Jura, der führte. Ich ließ mich auf Wodka aus der Flasche ein. Es kam jemand verärgert mit einem Lada Niva hinzu - von der Naturschutzbehörde, wie ich vermute. Die Feuer sind tatsächlich idiotisch. Die Brutzeit beginnt ...




Danach lud mich Jura zu sich nach Hause ein. Ein einfaches Haus, ein Schlafzimmer für Jura mit einem weiteren freien Bett, eines nebenan für sein Mütterchen. Beide Zimmer hatten Wandteppiche, dazu ein Wohnzimmer mit großem Flachbildfernseher. Er lud mich ein zu kaltem Bratfisch und eiskalten gekochten Kartoffeln. Seine kleine Mutter Dora - ganz, ganz lieb, 89 Jahre alt - öffnete ein großes Glas eingelegter Tomaten für uns. Wir redeten so gut es ging. Jura rief mich immer "Nemjetz" - als wir den Esstisch ins Wohnzimmer trugen, als wir die Gläser aus dem Schrank holten und zum Glück auch spülten. Als ich mit Jura dann ein volles Weinglas Wodka auf Ex herunterkippte, war das für mich gutgegangen - und für Jura der Gnadenschuss: er schlief zum Glück ein. Sein liebes Mütterchen bedeutete mir mit den Fingern, mich davonzuschleichen, sagte mir, ich solle am Morgen wiederkommen - und sie bestellte Grüße an meine Mutter. Das war alles so herzlich, so russisch, so schön! Ich schlich mich dann also davon, während er am Tisch weiterschlief. Ich lief zum Hotel und die nette Belegschaft hatte Fahrradenthusiasten über mein Dasein informiert. Ich aß Suppe und Gebratenes mit Pommes, dann luden mich die drei und ihre dazugekommene Freundin in die Sauna ein. Ich traf einen der Freunde Juras vom Schilfbrand am Nachmittag wieder - er war der Papa. Wir saunierten lange zusammen - die Kerle knabberten an getrockenem Fisch als Snack herum, wir tranken Bier und ich erfreute mich der herzlichen russischen Gastfreundschaft. Ich wurde dann noch einer Einzelbehandlung unterzogen und bei einem doll heißen Aufguss mit Reisern ordentlich ausgepeitscht. Das tat gut. Mein bester Tag bisher. Und er endete dann noch (allein) mit zwei weiteren Bier in der Russendisko unter meinem Hotelzimmer: heiße Schnitten, Armenier, Russen, chinesische Gesichter. Ich hätte es noch länger ausgehalten - meiner Schrift im Original-Tagebuch sieht man aber an: der Alkohol hat sein übriges getan (fünf Bier und eine halbe Flasche Wodka gut vertragen)
Ich sehe dennoch etwas doppelt und möchte morgen 8 Uhr losfahren nach Salsk. Mit den drei Radfahrern haben wir uns verabredet gemeinsam zu fahren. Ich freue mich auf ihre Begleitung...