Tag 18 6.4.12 Karfreitag Dnipodzerzynsk, 122km (2129km)



Graswedel über verbranntem Feldrain




Noch vor 8 Uhr habe ich das Motel in Krementschug verlassen. Mit Schenia (Jewgeni) hatte ich gestern noch lange auf Russisch und Englisch gequatscht, nachdem ich zum Sonnenuntergang auf die lange, wackelige Brücke über den Dnepr gelaufen war. (Es hatte eine gewisse Romantik, hinter sich die Industriestadt mit ihren Plattenbauten und vergammelten Häusern der vorletzten Jahrhundertwende zu wissen - und auf der anderen Seite diese Weite des Flusses unter dem Abendrot zu sehen, am anderen Ufer ein breiter Strand mit Sonnenschirmen. Der Dnepr bietet durch seine wilden Ufer sicher einer Menge Tieren noch einen Lebensraum - trotz Industrie.) Ich setzte mich also zum Abendbrot zu Jewgeni, er dolmetschte etwas für mich, ich aß Fischsuppe und einen Gulaschtopf bzw. gegrilltes Fleisch mit Kartoffelspalten und Tomaten - heiß in einem Tontopf serviert. War sehr lecker (die Fischsuppe nicht so). Der obligatorische Wodka ließ sich dann nicht vermeiden. Jewgeni bestellte dwesti gram auf die Freundschaft und unser Treffen - ich blieb stark und verweigerte dann ein drittes Bier. Nachdem ich mir seinen chinesischen BYD vor der Tür angesehen hatte, bestellte ich nochmal 100g, die wieder in einer kleinen Karaffe serviert wurden. Damit beendete ich den Abend. Ich hoffe, Schenia hat den Job bei den Waggonbauern in Krementschug heute bekommen. Ich selbst hatte dann noch in meinen Karten nach meiner Strecke für die nächsten Tage gesucht - und werde also in vier Tagen in Mariupol sein können, wenn ich mich nicht noch vorher für Melitopol entscheide und Wetter, Rad und Gesundheit durchhalten.


typisches ukrainisches Haus im Hintergrund
Heute auf der Fahrt habe ich ein wunderschönes altes, strohgedecktes Haus gesehen, später noch ein paar wenige davon. Beim Fotografieren dort in Kucevolivka stand ein Paar auf der anderen Straßenseite hinter dem Gartenzaun, sah mir freundlich zu und sprach mich an. Ich ging rüber und wir plauderten. Er lud mich ein, seinen Hof anzusehen und mir zu zeigen, was sie so arbeiten. Beeren im Hinterhof, Pflaumen und Apfelbäume (und anderes, das ich nicht verstand) - Aber vorher schon - als hätte er auf mich oder Besuch aus Deutschland gewartet - zeigte er mir in Windeseile einen deutschen Wehrmachts- und einen russischen Stahlhelm, wies mich auf die deutsche Qualität hin, die der alte angerostete Helm noch hatte. Der Russenhelm wirkte dagegen wie aus Feinblech, war daher auch schon oben durchgerostet (wenn nicht durchschossen damals, als in der Gegend heftige Kämpfe tobten). Wir hatten einen längeren, netten Plausch. Er kannte ein paar deutsche Wörter, mein Russisch ging mir zwar falsch aber locker von der Zunge. Das Haus gegenüber sei über 100-200 Jahre alt und seit über fünf Jahren wohnte da niemand mehr. Aber in der Gegend wohnen Leute noch in solchen Häusern.

Er war Mitte dreißig, seine nette Frau die ganze Zeit dabei - erst im Bademantel und am Ende hat sie sich den auch wieder übergeworfen. Beide haben einen fünfzehn Jahre alten Sohn, der gerade in der Schule war. Im Hof gab es einen zerstrubbelten Kater und einen kläffenden, angeketteten Köter. Ein riesiger Stapel Holz lag in der Mitte des ordentlichen Hofes, einer der obligatorischen Keller führte irgendwo in die Erde. Später kramte er dann noch einmal in wenigen Sekunden eine Aktenmappe mit historischen Dokumenten aus dem Haus - Fotos des Großvaters, ein Gruppenfoto aus Zarenzeiten und Kopien alter Wehrmachtskarten von den Dörfern der Umgegend und der Dnepr-Region. Das zeigte er mir, bevor man mich zum Foto bat. Natürlich hatte ich vorher schon vom Wohin und Woher erzählt. Später kam noch ein Mann hinzu, der ein total abgefahrenes Rad - für einen Trecker wahrscheinlich - abholte.
Wenig später, nachdem ich weiterfuhr, sah ich einen Unfall. Ein Range Rover war in einen Lada oder Shiguli gerast. Am SUV war nur relativ wenig Schaden. Der Lada war total hinüber - und der Platz hinter dem Lenkrad nicht leer. Ich wollte gar nicht näher hinsehen. Ein trauriger Karfreitag. Ein  drittes Auto hatte es noch vor die Grundstücke der Häuser gegenüber der Tankstelle geschoben. Vielleicht war es mein Glück, die Zeit vorher mit netten Leuten im Gespräch verbracht zu haben. Ich bin jetzt kurz vor Hannivka, habe 55km von 120km heute weg. Ich habe eine schöne Kneipe gefunden - mit Wintergarten, von dem ich mein Rad gut sehen kann.
Es gab Soljanka, Pommes und zwei größere Fleischstücke, die Gulasch heißen, dazu Weißbrot und O-Saft. Jetzt kommt noch Kaffee, dann fahre ich bei strahlend blauem Himmel weiter nach Dneprodzerdzinsk.


Zwischenzeitlich bin ich in Dniprodzerzynsk angekommen. Ich wohne wieder einmal im Russenhotel, das Olympia heißt, 1km vom Stadtzentrum entfernt. Das Bett muss ich mir immer selbst beziehen - oder wenigstens die Zudecke, der Rest ist gemacht. Der Boiler war wieder einmal kalt und muss erst warm werden, bevor ich in die ekelig braune Wanne zum Duschen steigen kann. Daher bin ich erst einmal in die City gelaufen, die nichts zu sehen hat außer ihren Menschen. Ich kaufte mir einen halben Liter Kirschsaft und Kekse, da ich nahe an Unterzuckerung war, wenig später noch einen Liter O-Saft - dann ging's mir wieder gut. Jetzt hocke ich also in diesem ruhigen Internetshop, in dem keine spielenden, schwitzenden Jugendlichen hocken. - Ich werde mir noch was zu Essen suchen und dann in mein Bett kriechen, damit ich morgen nach Sapporoschje komme.