Schade, ich hatte mich so auf einen "Kulturmarathon" gefreut: eigentlich sollte es heute zwei Ballettaufführungen im Theater geben (Ballett aus Moskau). Leider ist dies ausgefallen. Aber ich war ja wenigstens gestern schon in "La Traviata". Das parkhausähnliche Musiktheater, das äußerlich total heruntergekommen ist, ist innen noch ganz passabel, wenn man von grauenhaften Toiletten absieht, die jedes Bahnhofsklo in Deutschland um Welten unterbieten. Das Orchester war gut, die Interpreten - besonders die Rolle der Violetta war sehr gut gesungen (soweit ich das mit meinem musikalischen Laienverstand bewerten kann). Die Männerrollen klangen alle ein bisschen wie durch die Nase gesungen - vielleicht, weil die Russen das Italienisch nur so hinbekommen, wie manche Deutsche denken, dass man eine Kartoffel im Mund braucht um Englisch zu sprechen.
Es gab einen sehr großen Chor und auch am Ballett wurde nicht gespart. Mir hat die Aufführung sehr gut gefallen, die schon 18 Uhr begonnen hatte. Im Publikum saßen (fast) nur alte Weiber, die Männer und jungen Leute könnte man problemlos abzählen. Das Parkett war nicht einmal halb voll, der Rang blieb ganz leer. Die Pausen reichten für eine Zigarette oder einen Toilettenbesuch - oder lieber keines von beiden. Eine Bar gibt es auch nicht - so ein schnelles Sturzbier könnte man auch nicht vertragen. Der Preis von nur 90 Rubel auf der ersten Reihe in der Mitte ist lächerlich gering. Kein Wunder, wenn da keine Kopeke für die Sanierung da ist.
Vor dem Theater ist eine kleine Gruppe von biergartenähnlichen Kneipen, wo ich vorher noch ein Bier getrunken hatte und einen Eierkuchen mit Fleischfüllung zu mir nahm.
Danach war ich wieder in einer meiner beiden "Stammkneipen" am Kutum-Kanal, wo man so schön draußen am Wasser sitzen kann. Der Weg zu meinem Hotel war dann hinter dem Hotel Центр furchtbar dunkel, besonders nach der Brücke über den Kanal 1. Mai, wo das tartarische Viertel beginnt. Da begann mein heutiger Tag nach einem ordentlichen Frühstück im Hotel. Ich sah mir eine der Moscheen an und wurde gleich eingeladen, sie mir von innen anzusehen. Mit dem Schuhe ausziehen hat man es hier nicht ganz so wie in anderen Moscheen. Der tartarische Herr nahm mich noch mit zur Moschee um die Ecke - gleich neben meinem Hotel, wo es auch eine religiöse Schule gibt. Die meisten Moscheen hier sind sunnitisch - eine ist wohl nur schiitisch. Ich hatte mich wieder einmal als Ungläubiger geoutet, was ich mir künftig abgewöhnen sollte, da dies "sehr schlecht" ist. Ich sollte mich lieber zum evangelischen Glauben bekennen, um Diskussionen aus dem Weg zu gehen. (Auch die Deutschen haben eine eigene Kirche in Astrachan). Es gibt 86 Moscheen im Astrachaner Gebiet - eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass während der CCCP-Zeiten auch hier Religion sehr klein geschrieben wurde.
Von dort lief ich geradewegs zum Kreml und nahm wieder am Gottesdienst teil, um mein Seelenheil zu retten - aber eher, um der tollen Musik zu lauschen und die Atmosphäre zu genießen. Heute war ein besonders stark besetzter gemischter Chor rechts in der Kirche neben den engelhaften hohen Stimmen von links. Ich hab gestaunt über die gewaltigen Stimmen heute. Am Ende kein Wunder: Violetta aus dem Opernhaus sang im Chor mit - also ganz gewiss kein Laienchor. Hab mich dann wieder (in der Kirche heute) mit Weihwasser berieseln lassen und war dann (umsonst) zum musikalischen Theater gelaufen, dann wieder zurück zum Kreml, wo ich noch eine Weile saß und den Hochzeitsgesellschaften zusah. Danach bin ich ins naturkundliche Museum gegangen, um mir einen Überblick über die Fauna und Flora im Delta zu verschaffen. Aber erstens war fast alles nur Russisch beschriftet (ganz selten auch Latein) und ich hatte nichts zum Schreiben mit. Ich fand die Ausstellung nicht so toll. Es gab einige präparierte Vögel, wobei die Präparate nicht ganz so toll erhalten waren und die Reptilien ganz aus irgendeiner Masse schlecht modelliert waren. Die Präsentation auf dem PC ließ sich nicht interaktiv steuern und man musste die ganzen Organigramme der politischen und wissenschaftlichen Expertengruppen und ihrer Chefs über sich ergehen lassen, ehe man ein paar Bilder von Pflanzen und Tieren sah. Die Ausstellung über die Fische im Delta - naja: ein paar Riesenexemplare von Belugas, die so etwa 6m lang waren und ziemliche Monster sind. Dazu die kleineren Fische, die man an der Angel haben kann, ein paar Fotos von Putin beim Aussetzen von gezüchteten Stören ... Die Ausstellungen kosteten jeweils 80 Rubel, waren aber auch nicht mehr wert.
Gegen 3 Uhr bin ich erstmal für zwei Stunden zurück zum Hotel, um bisschen abzuschalten.Im TV gab es "Pavarotti and Friends" von 1999 - war auch sehr beeindruckend - zum Trost für die ausgefallenen Vorstellungen heute. Ich habe dann ein Internetcafé im Hotel erfragt und es dann 1km südwestlich in der Богдана Хмелниково 16 gefunden. Da sitze ich jetzt an meinem Blog und werde morgen noch einmal mit meinem Tagebuch herkommen, um die letzten Tage nachzutragen.