Tag 66 Zhanaözen ca. 67km (5170ca)

Fang ich mal vorgestern an:
Am Abend, nachdem ich mich so über google und die neue Uploadadresse geärger hatte, bin ich ins Hotel gegangen und habe gepackt und mich etwas ausgeruht. Es war nicht so einfach jetzt noch den Anzug und die Schuhe irgendwohinzupacken. Das Zelt ist jetzt mein 7. Packstück. Vielleicht treffe ich mal wieder nette Deutsche, die mit dem Wohnmobil da sind und denen ich Gepäck mitgeben kann (wobei sie mir da sehr vertrauen müssen, dass sie keine Drogen nach Deutschland fahren). Meine ganze Koch- und Küchenausrüstung brauche ich definitiv nicht. Notfalls tun es auch mal Kekse.
Am Abend war ich zum Abschied noch einmal im Restaurant Amphibia - dem mit den duftenden Robinien, die jetzt leider schon verblüht waren. Dafür war immer noch die hübsche Kellnerin Aischa da - und lecker gegrillte Schaschlik gab es auch noch. - Ich war dann gegen 8 Uhr wieder im Hotel Köktem und schlief bis 7.30 Uhr am Morgen fast 11 Stunden (der ganze Stress auf den Flughäfen und die Zeitverschiebung haben mich ganz schön belastet.


Am Morgen um acht Uhr hatte ich noch gefrühstückt, hatte mein Fahrrad beladen und musste zum ersten Mal Luft auf das Vorderrad pumpen (nach über 5000km und sechzig Tagen unterwegs - dank Schwalbe Marathon Reifen und guten Schläuchen). Ich habe die Straße nach Zhanaözen auf Anhieb gefunden, bin in der ersten halben Stunde gut vorangekommen - auch wenn mich ein Rechtsabbieger um Haaresbreite mitgenommen hätte, als ich geradeaus an einer Kreuzung weiterfuhr. Wahrscheinlich hatte er das nicht einmal gemerkt. Eine halbe Stunde später hörte ich es irgendwo hinter mir furchtbar quietschen - da wäre ich an dem Tag beinahe zum zweiten Mal mitgenommen worden. Hinter mir im Dreck nur noch eine Staubwolke - aber das Auto kam rechtzeitig zum Stehen. Zu dem Zeitpunkt war die Fahrt auch schon richtig anstrengend geworden: scharfer Gegenwind und heiße Luft - auch wenn es ziemlich bewölkt war und nach Regen aussah. Ich quälte mich gestern sieben Stunden gegen den Wind und bin zum ersten Mal an den Rand der Erschöpfung gekommen. Nach fünfzehn Kilometern und eineinhalb Stunden fand ich links das erste Café und frühstückte eine fleischgefüllte Pirogge und trank einen Tee dazu. Nach weiteren fünfzehn Kilometern fand ich noch einmal ein Schaichana - dort machte ich wieder eine Pause und trank etwas - Hunger hatte ich da glaube ich gar keinen. Ab da gab es bis zum Ende der Tagesetappe über mehr als fünfzig Kilometer keine Einkehrmöglichkeit und keinen Laden mehr. Und der Wind wehte weiter unbarmherzig, dass ich mit kaum 10km/h vorankam. Gegen Mittag fand ich ein schmuckloses Grab eines Sultan Ata, das mir einen wind- und sonnengeschützten Platz für eine lange Pause bot. Ich döste dort im Sitzen vor mich hin, war in Gedanken verloren und versuchte etwas zu meditieren (was ich bisher noch niemals wirklich geschafft habe, ohne mich in Gedanken zu verlieren). Die Pause tat mir gut und ich radelte dann weiter. Da kam auch kurz danach das allerschlimmste Stück. Gegen den Wind ging es 150 bis 200 Meter recht steil bergan. Die Hitze war drückend, ich machte mir etwas Sorgen um meine etwas knapper geplanten Wasservorräte, die bei diesem Tempo und der Zeit, die ich dafür brauchte, sehr knapp bemessen waren. Der Anstieg kostete Extra-Kraft. Auf halbem Weg nach oben gab es einen schönen Aussichtspunkt in die wilde wüstenähnliche Landschaft. Da lag ein riesiger Kalksteinquader (3mx1mx1m), auf dem ich herrlich liegen und abschalten konnte - auch wenn die Sonne da schon etwas intensiver war. Ich war da so was von platt und fürchtete fast schon vor Hitze und Anstrengung zu kollabieren. Danach ging es mir wieder besser - viel besser. Und wie durch ein Wunder, hatte der Wind aufgehört - der kam sogar ganz leicht von hinten, sodass ich den Rest des Anstieges etwas leichter schaffte. Da war es dann auch schon fast sechzehn Uhr - die Sonne schien nicht mehr ganz so doll und vielleicht hat auch dieses ansteigende Plateau den Wind in eine andere Richtung gelenkt. Auf meine unbeholfenen Meditationsversuche ist das sicher nicht zurückzuführen. Das alles hatte dennoch so sehr an meinen Kräften gezehrt, dass der Rest der Tagesetappe immer noch anstrengend genug war. Ohne meine Dextroenergeen Traubenzuckerreserven hätte ich das wahrscheinlich nicht geschafft. Dummerweise war die Rittersporttafel aufgeplatzt, die mit dem Traubenzucker in einem Druckverschlussbeutel war: wenigstens dieser Trost, der verhinderte, dass die Sauerei eine große geworden wäre.
Nach 87km und einer kurzen Polizeikontrolle kam ich in einer Schaichana in Zhetibay an. Ich war nicht einmal mehr richtig in der Lage auf die freundlichen Fragen nach Woher und Wohin zu antworten. Die Zunge klebte am Gaumen - ich wollte nur noch was Kaltes trinken, Essen und am liebsten Liegen. Dabei waren das nur so wenige Kilometer in mehr als neun Stunden. Durch den nachlassenden Wind kam ich noch auf einen Schnitt von zwölf km/h. Aber mir tat alles weh: Beine, Muskeln, Rücken - am Trikot habe ich mir irgendwie auch noch die rechte Brustwarze wundgescheuert und im Schritt tat es das erste Mal auf der Reise auch weh, weil ich eine andere 3/4 Radhose mit dünnerem Polster trug. Die Bedienung war sehr nett - es gab Suppe und Kartoffeln mit Fleisch und Fanta. Am Ende wollte sie wieder kein Geld nehmen. Aber es half wieder, zu sagen, dass ich viel Geld habe - ohne dass ich die Gastfreundschaft damit verletzt hätte und vergessen hätte mich zu bedanken. Sie hatte ihren Chef angerufen, der mich zu sich nach Hause einlud, da es kein Hotel im Ort gab. Ich war so froh darüber, dass ich alles geschehen ließ, ohne mich zu zieren oder zu widersprechen. Ich hatte auch nicht die geringste Lust, mein Zelt aufzubauen und auf der harten Matratze zu schlafen und alles wieder zusammenpacken zu müssen. Leider habe ich den Namen des Chefs vergessen - deshalb will ich ihn hier einfach Chef nennen (er hat aber meine Adresse und meine E-Mail-Adresse etc.). Sein Grundstück sah auf den ersten Blick aus wie ein Schrotthandel - überall alte Autos, Metallteile, Tanks, Bleche etc. Wir fuhren gleich weiter zu seinem Aussenposten, wo er Kamele hält und Schafe, bewacht von scharfen Hunden an Führungsleinen. Fünfzig Kamele hat er, von denen die meisten frei herumlaufen und nach denen er immer mal mit dem Auto sieht. (Daher braucht man hier wahrscheinlich auch keine Jurten mehr - ich habe keine einzige mehr gesehen) So ein Kamel bringt 1000kg auf die Waage und wenn ich es richtig verstanden habe, wird auch das Fleisch gegessen. Auf alle Fälle werden sie gemolken und die Milch ist wertvoll und teuer (mehr als fünf Euro der Liter). Alle zwei Jahre bekommt so ein Kamel ein Baby, im nächsten Jahr gibt es dann Milch. Neben den Kamelen standen einige kleine niedliche Babys - eines davon eineinhalb Monate alt. Und es gab Dromedare und Trampeltiere - mit einem und mit zwei Höckern - und auch wieder - falls ich richtig gefragt und verstanden habe - können die miteinander Nachwuchs zeugen. Auf dem Hof arbeiteten ein Mann und eine Frau, die die Kamele molken. Der Chef nahm dann einen großen Kanister Milch mit nach Hause.

In der Zwischenzeit hatte die Familie noch einmal Abendbrot zubereitet - wo ich doch gerade schon gegessen hatte. Es gab Tomaten-Gurkensalat mit Zwiebeln, gebratenes Fleisch mit Zwiebeln, Tee mit Milch, zwei kleine Gläser Wodka, geröstetes Getreide, Konfekt und Kekse. Im Gegensatz zu dem, was ich las oder mir die Leute erzählten, haben die Frauen der Familie mit uns auf den Teppichen im betonierten Hof gesessen. Wir Männer lümmelten halb liegend (welche Wohltat!) auf Kissen wie der Sultan seinerzeit - die Frauen saßen dabei - aßen aber nicht mit. Die Ehefrau war Kasachin und trug auch die typische Tracht, die Schwiegertochter ist Ukrainerin - auch wenn sie dort geboren wurde. Entsprechend sahen auch ihre beiden zwei und fünf Jahre alten Kinder aus. Der kleine Junge wurde liebevoll von seiner Schwester liebkost, als er später müde wurde und auf den Teppichen und Decken einschlief. Auch die beiden anderen kasachisch aussehenden Mädchen, die wohl die Töchter der Arbeiter bei den Tieren sind, kümmerten sich um die kleinen. Sie wohnen mit dort und dienen wahrscheinlich auch dort. Die Elfjährige brachte uns Wasser zum Händewaschen an die Teppiche, ließ es sparsam über unsere Hände laufen - der Rest wurde in einer Schüssel aufgefangen. Es gab frische duftende Handtücher und dann trugen die Mädels (die andere war fünfzehn) das Essen auf. Wir saßen dann bis Mitternacht draußen. Am Himmel erkannte ich dann den großen Wagen und den Polarstern und es blieb die ganze Zeit mild. Die Schwiegertochter beteiligte sich auch an der Unterhaltung - die Ehefrau gar nicht - hörte aber aufmerksam zu, bis sie irgendwann verschwand - aber auch wiederkam. Ich zeigte einige meiner Fotos - bedauerte aber, dass ich nur noch Istanbul auf der Speicherkarte zeigen konnte. Dafür sind auf dieser Karte noch ein paar Bilder von Yamuna und Benjamin.
Unser Nachtlager bereitete man uns dann im Wohnzimmer auf den Teppichen. Das Wohnzimmer sah nicht soviel anders aus als ein deutsches: ein großes rustikales Buffett mit Kristallgläsern drin, etwas Kitsch und Souvenirkram irgendwo. Eine große massive Tafel mit zwei schweren geschnitzten Füßen und zehn Stühlen stand in der Mitte des Zimmers und drei Sofas an den Wänden. Das hätte man von außen nicht erwartet. Ich schlief gut und bis gegen sieben Uhr.





Jetzt bin ich hier in Zhanaözen und happy, ein Internetcafé gefunden zu haben, nachdem ich kurz über den Markt gebummelt war. Eine nette Frau hatte mir geholfen, anhand einer Werbung an der Straße das Gebäude zu finden.
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Rosa hieß die nette und hilfsbereite Frau. Nach dem ich im Internet geschrieben hatte, hatte sie mich zu sich eingeladen und noch zwei paarundzwanzigjährige Jungs aus ihrem Haus: Wadim und Sascha (?). Ich hatte Wodka und Getränke gekauft und wir feierten in ihrer Rumpelbude im Plattenbau eine Party. Eigentlich waren sie alle ja sehr nett - aber einfach gestrickt und ich fühlte mich nicht so wohl. Wir tranken eine Flasche Wodka, aßen Spiegelei, Salat und Hühnchen. Rosa wollte immer hören, dass sie eine hübsche Frau sei. Da ich ein ehrlicher Mensch bin, fällt es mir schwer auf so direkte Fragen charmant zu antworten, wenn einem 105kg Fleisch gegenübersitzen. Ich versuchte mit einem Lächeln auszuweichen. Naja... jedenfalls tranken wir und quatschten so gut es ging und am Ende nach vielen Verlängerungen organisierte Rosa ein Taxi und fuhr mich noch zum Hotel. Ich war dann froh, dass ich in mein Zimmer konnte und Rosa mit dem Taxi die paar hundert Meter zurück fuhr.