Tag 43 1.5.12 Astrachan




Ich war dann gestern zu Fuß zum Internetcafé gelaufen, hatte dort 3h zugebracht und war danach beim Aserbaidshaner an der Kreuzung essen: Suppe mit Hammelfleisch und Schaschlik mit viel Koriander unter den Zwiebeln und an der roten Soße. Dazu gab es leckeres Fladenbrot. Von dort lief ich weiter zum Hotel, wo ich mir wieder eine Pause gönnte. Danach machte ich mich auf in Richtung des neuen Opernhauses, das im Park der Kinder liegt, ein angeblich unvollendetes 1Mrd Rubel teures Prestigeprojekt, das nur selten für Aufführungen benutzt wird. Schade - am 28.4. war dort auch eine Vorstellung. Am Ende bin ich dort aber gar nicht angekommen - sondern an der neuen Brücke über die Wolga und der Insel, die neben dem Grand Hotel liegt. Vorher war ich noch in einem riesigen Angelfachgeschäft und Outdoorladen, um nach einem Faltboot zu suchen, falls ich wieder einmal hierher kommen sollte. Aber es gab nur Schlauchboote und Zelte, Kocher, etc. Man könnte also bis Astrachan radeln und sich dann hier mit allem eindecken - vorausgesetzt, man bringt die eine Nacht zwischen Jashkul und hier im Freien rum. - Auf der Brücke wollte ich noch ein Foto der Stadt im Spiegel der Glasfassade machen - aber das ging nicht auf. Außerdem zerrte der Wind extrem auf der hohen wackeligen Brücke. Ich lief dann einfach weiter Richtung Norden und fand dann eine weitere schöne Uferpromenade, die stiller und untouristischer ist und wohl eher von Einheimischen genutzt wird. Dort, wo die Wolgaufer langsam wieder grün werden und ländlich, wo gegenüber die Insel mit einem Strand liegt, war eine kleine nette Kneipe zum Draußen sitzen. Ich endete daher im "Bereg" (=Ufer) auf 2 Bier und Chips und blieb bis fast zum Sonnenuntergang. Vor mir lag ein vertäutes zum Schwimmbad umgebautes Schiff - sicher auch eine gute Idee für Hamburg oder Dresden oder eine City am Rhein. Noch eine Bar dazu, paar Liegestühle und der Rubel rollt - sofern das Wetter gut ist und das Wasser warm.
Ich schlenderte dann weiter die Wolga flussabwärts und bummelte noch an der Flaniermeile entlang, aß noch ein Eis, bevor ich ins Hotel zurückspazierte.
Heute Nacht hatte es heftiger geregnet und etwas gewittert. Eigentlich fallen hier nur 160mm Regen je m² und Jahr. Wenn man dem Web da vertrauen darf ... Aber gestern das muss mehr gewesen sein - es hatte die Luft total abgekühlt, dass ich am Morgen nochmal zurück zum Hotel gelaufen bin und mir mein Vlies geholt habe, das ich jetzt immer noch trage. Und weil es so "kalt" war, bin ich noch einmal zum Kreml gegangen und war am Ende froh, zum Abschied Russland noch einmal so zu erleben, wie ich es mir auch vorgestellt hatte. Da waren wieder 2 Stunden um, in denen ich zuhören konnte, mich treiben lassen. Zwei Reisegruppen des ersten großen Kreuzfahrtschiffes kamen hereingebraust und verschwanden ebensoschnell wieder (Deutsche!). Die haben da gar nichts erleben können, keine Zeit, um die "Seele" zu öffnen und sich den Eindrücken hinzugeben. Ich glaube, ich war insgesamt 12 Stunden in dieser schönen Kirche und das war keinen Augenblick langweilig. Gut: man kann es auch übertreiben. Aber etwas Zeit braucht es, um ein Gefühl für etwas zu bekommen, wenn man es schon nie ganz verstehen und nachempfinden können wird.


Danach bummelte ich durch die City zur Wolga, kaufte mir unterwegs einen Deoroller und Spray, um mich nach tagelangem Zelten in der Steppe selbst noch ertragen zu können (in der Hoffnung, dass nicht noch barockere Methoden notwendig werden - schließlich sollte ich alle 3-6 Tage in Orte mit Wasser kommen.)

Im Web hatten mich heute die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes zu Kasachstan doch etwas geschockt, die ich zu Hause bisher ausgeblendet hatte. Auch die Anmeldeformalitäten haben mir etwas Bauchweh bereitet. 5 Tage bis zur Registrierung in Kasachstan sollten machbar sein - schließlich sollte ich Atyrau in 2-3 Tagen erreichen können. Aber in Usbekistan durch das Ustjurt Plateau in Karakalpakstan brauche ich wahrscheinlich etwas mehr als die erlaubten 3 Tage, ehe ich mich polizeilich melden kann. - Also: ich habe meinen Deoroller und werde das alles überstehen. - An der Wolga lag das große Kreuzfahrtschiff an der Promenade vertäut, die Leute waren wahrscheinlich die paar hundert Meter zum Kreml mit Bussen befördert worden: Phönix Reisen GmbH aus Bonn (Für die, die so was allen Ernstes ins Auge fassen sollten, was aus meiner Sicht nicht wirklich Sinn macht ...). Ich lief an dem ehemaligen Kino mit dem großen Wintergarten vorbei, dessen Palmen langst die hohe Decke erreicht hatten. Paar Aquarien und Vogelvolieren, ein Terrarium mit Schildkröten ... Für 70 Rubel nicht unbedingt sehenswert - es sei denn, man will mal wieder ein richtiges Russenklo der üblen Sorte besuchen. So wie es im alten Rom und Pompeji keine Türen an den Schüsseln gab - hier hat man die Türen ausgehängt und für dringende große Bedürfnisse Freisitze eingerichtet.


Im Augenblick sitze ich neben dem "Parkhaus"-theater im Biergarten, habe eine "Sibirische Krone" getrunken und 250g Schaschlik vom Grill verputzt. Von hier will ich dann zum Bahnhof bummeln und mal sehen, ob es dort noch neue Einblicke in die Stadt gibt, bevor ich wieder an die "Nord"-Promenade gehen will. Für den 1. Mai hätte ich hier mehr erwartet. Ich sah zwei kleine Demos (eine auf einem kleinen Platz und eine an der Wolga mit je rund 100 Leuten (letztere wahrscheinlich von der liberalen Partei)